Speziell ausgebildete Behindertenbegleithunde helfen Rollstuhlfahrern

Bielefeld/Vechta. Ringo kommt mit, wenn Alena ihre Freundin besucht. Der schwarze Labrador trägt eine kleine Tasche mit ihrem Handy und ihrem Portemonnaie. Ringo macht auch die Haustür zu, denn Alena steht sich mit ihrem Rollstuhl manchmal selbst im Weg. Ringo zieht sogar den Rollstuhl raus, wenn der mal im Spielplatz-Sand stecken bleibt.

Der zweijährige Ringo ist ein Behindertenbegleithund. Er ist speziell dazu ausgebildet, Alena den Alltag zu erleichtern. Das achtjährige Mädchen aus Vechta hat eine „spina bifida“, einen sogenannten offenen Rücken und ist querschnittsgelähmt.

„Vor vier Jahren habe ich das erste Mal von solchen Hunden gehört“, erzählt ihre Mutter Sylvia Kathmann. „Ich fand das toll, und ich fand es wichtig für Alena.“ Wenn das Mädchen alleine unterwegs war, machte sich die Mutter Sorgen, und Alena selbst hatte auch Angst. „Was, wenn sie irgendwo feststeckt oder ihr jemand das Handy klaut?“ Seit Alena Ringo hat, ist das kein Problem mehr.

„Rollstuhlfahrer fühlen sich sicherer mit Hund“, bestätigt Professor Reinhold Bergeler vom Psychologischen Institut der Uni Bonn. „Das ist aber nicht der einzige positive Effekt.“ Der Hund sei auch eine Aufgabe für den Behinderten und ein Partner. Und, so Bergeler weiter, die so genannten Gesunden gingen ganz anders um mit Behinderten, die einen Hund haben. „Keine Mitleidsfloskeln, stattdessen spricht man über das Tier und dann auch über anderes.“

Bis Ringo vor zwei Monaten zu Alena kam, war es noch ein weiter Weg. Nach viel Telefoniererei landeten die Kathmanns vor zwei Jahren bei der Stiftung des Trierer Tierbuchverlages „Kynos“. Helga Fleig, die die Kynos-Stiftung 1998 zusammen mit ihrem Mann gegründet hat: „Wir wollen Begleithunde günstig an Behinderte abgeben.“ Die Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht.

„Anders als Blindenhunde stehen Begleithunde nicht auf der Liste der anerkannten Hilfsmittel“, bestätigt Karl-Josef Steden, Sprecher der AOK Westfalen-Lippe. „Für Körperbehinderte gibt es technische Hilfsmittel, einen Rollstuhl etwa.“ Rund 25.000 Mark kostet ein Begleithund. „5.000 Mark davon zahlt der neue Besitzer, 20.000 Mark die Stiftung“, sagt Helga Fleig. Das Teuerste sei die Ausbildung. Im Alter von acht Wochen geht es damit los: Die – oft von Züchtern gespendeten – Welpen werden getestet: Sind sie ängstlich? Sind sie aggressiv? Sind sie gesund?

Bestehen sie den Test, kommen die Kleinen für ihr erstes Lebensjahr zu sogenannten Paten – „Familien mit Hundeerfahrung, möglichst mit Kindern und anderen Tieren“.

Familien wie die Memmerts aus Bielefeld. Vor gut einem Jahr kam der kleine Zar ins Haus, ein Schäferhund. „Aufgabe der Paten ist es, den Hund aufzuziehen und ihm eine gute Erziehung als Grundlage zu geben“, sagt Martina Memmert. „Das heißt: jede Woche einmal zur Hundeschule, den Kleinen stubenrein bekommen und ihm soviel wie möglich zeigen: Straßenbahn fahren, Parties, Restaurants.“ Während dieser Zeit besucht die Trainerin der Stiftung, Melanie Lischka, Paten und Hund, informiert sich über Fortschritte und gibt Tipps bei Problemen. Danach werden die Hunde erneut auf Leistung, Charakter und Gesundheit getestet.

„Zar hat es leider nicht geschafft“, sagt Martina Memmert. „Er hat eine Hautkrankheit und ist jetzt bei einer ,normalen‘ Familie in Delbrück.“ Ein kranker Hund für einen behinderten Menschen gehe nicht.

„Schäferhunde haben wegen falscher Züchtung oft gesundheitliche Probleme“, erklärt Helga Fleig. „Deshalb nehmen wir sie auch nicht mehr.“ Besser geeignet seien Labradors, Retriever, Boarder Collies und Shelties. „Die sind gesund, bindungsfähig, stress-stabil und friedlich.“

Labrador Ringo hatte den Test bestanden und war im November 2000 nach Markgrafenheide bei Rostock gekommen, in die Ausbildungsstation der Kynos-Stiftung. „Dort werden die Hunde auf ihren Job vorbereitet, lernen neben Sitz, Platz und Komm all das, was sie im Alltag brauchen.“ Türen zumachen zum Beispiel. Oder Schubladen aufziehen, Wäsche aus der Maschine holen, das Licht an und wieder aus machen.

In der Nähe der Station ist ein Behinderten-Hotel. „Das war entscheidend bei der Wahl des Standortes“, sagt Helga Fleig, „denn die letzten vier Wochen der Ausbildung werden Hund und Herrchen zusammen geschult.“ Die beiden müssen sich kennen lernen und miteinander umgehen können.

Ringo, übrigens der erste Hund, den die Kynos-Stiftung abgegeben hat, gehört bei den Kathmanns längst zur Familie. „Aber“, sagt Sylvia Kathmann, „er weiß genau, was Freizeit ist und was Job. Wenn Alena ruft, ist er bei ihr. Egal was er vorher gemacht hat.“ Sie lacht, denn zu ihr hat er ein anderes Verhältnis. „Wenn mir etwas herunterfällt, schaut er kaum hin. Der weiß genau, dass ich das selber kann.“

  • Informationen rund um den Hund

    Wer einen Behindertenbegleithund möchte, muss lange warten. Die Kynos–Stiftung ist eine der wenigen Einrichtungen, die ausbildet oder vermittelt. In Bielefeld und Ostwestfalen gibt es keinen Verein dieser Art. Es gibt keinen Dachverband, keine Richtlinien, keine Qualitätskontrollen. Jeder arbeitet nach seinem eigenen Konzept.

    Wer Interesse hat, muss sich umhören, herumtelefonieren, sich die Einrichtung anschauen und entscheiden, ob sie ihm vertrauenswürdig erscheint.

    Kontaktadressen und Auskünfte gibts bei:

    SAM Deutschland, (0 22 62) 69 17 69
    Verband Therapiehunde Deutschland, (0 23 02) 9 78 68 90
    Die Wichtelpfoten, (0 91 31) 77 1108
    Helfende Pfoten, (0 81 42) 54 09 12
    Hunde für Handicaps, (0 30) 29 49 20 00
    Kynos-Stiftung, (0 65 94) 6 53
    Prima Partner, (0 68 41) 6 06 27
    Tierische Leistung, (0 41 03) 90 52 95
    Vita, (069) 5 07 21 15

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Brettspiele für behinderte Kinder

Erstmals bekommen körperbehinderte Kinder speziell auf ihre Bedürfnisse ausgerichtete Brettspiele. Die Prototypen stellte das "Centrum für interdisziplinäre Gesundheitsförderung", ein Zusammenschluss von Professoren, Eltern, Lehrern und Ingenieuren, am Dienstag in Nürnberg vor.

Unter anderem gibt es Klassiker wie "Mensch ärgere dich nicht" oder "4 gewinnt", die auf Tastendruck die Steine auf das gewünschte Feld setzen oder per Zufallsgenerator würfeln. Mit Hilfe eingebauter Computer, Bildschirme und Funksignale können schwer körperlich behinderte Kinder damit ganz ohne fremde Hilfe spielen.

Noch in der Experimentierphase befindet sich die Idee des "Bio-Signals". Am Gesicht der Spieler befestigte Elektroden sollen dabei die Muskelbewegung der Augen messen, so dass gelähmte Menschen allein durch Wechseln der Blickrichtung ihre Befehle an das Spiel geben können. Als Fernziel in dieser Technik nannte Physik-Professor Michael Braun die Entwicklung einer Computer-Maus. Das sei aber noch Zukunftsmusik, sagte er.

Bislang gibt es die Spiele nur als Einzelanfertigungen für rund 100 körperbehinderte Schüler in Franken. "Die Kinder sind vollkommen begeistert" berichtet Professor Jörg Robra von der Fachhochschule. Leider interessiere sich die Industrie bisher kaum für eine Produktion im größeren Stil. Entwickelt wurden die elektronisch unterstützten Brettspiele vor allem von Diplomanden an der Fachhochschule Nürnberg aus Spanien und Südafrika. Eine Spendenaktion der Sparda-Bank Nürnberg half dabei, die anfallenden Kosten zu bewältigen.

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Behinderten soll Behördenodyssee erspart bleiben

Wohnortnahe Servicestellen mit Beratung aus einer Hand - Systemaufbau bis Jahresende erwartet

Berlin (AP)

Noch im Lauf dieses Jahres soll Schluss sein damit, dass Behinderte mit ihren Anträgen «von Pontius zu Pilatus» pilgern und monatelang auf die Bewilligung eines Hilfsmittels warten müssen. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Karl Hermann Haack, appellierte am Donnerstag in Berlin an alle Beteiligten, die Neuregelungen des am 1. Juli in Kraft tretenden Sozialgesetzbuchs IX schnell in die Tat umzusetzen. Dazu zählt vor allem die Einrichtung neuer Servicestellen, die Beratung aus einer Hand bieten.

       Das nach jahrzehntelangen vergeblichen Bemühungen beschlossene Gesetz verspricht nach Haacks Worten deutliche Verbesserungen für die rund acht Millionen Schwerbehinderten und weiteren Millionen Betroffenen in Deutschland. Ziel ist es, behinderte Menschen nicht nur als Objekt der Fürsorge zu behandeln, sondern ihnen mehr Selbstbestimmung und Teilhabe zu ermöglichen. Dazu soll das Gestrüpp unterschiedlicher Zuständigkeiten der acht verschiedenen Träger gelichtet und eine einheitliche Praxis bei der Rehabilitation geschaffen werden.

       «Die Dienstleistung folgt dem Bürger, nicht der Bürger der Dienstleistung», betonte Haack. So sollen die neuen Servicestellen in den Landkreisen beziehungsweise kreisfreien Städten eingerichtet werden, beispielsweise als Sozialbüro im Rathaus ähnlich wie ein Bürgerbüro. Zwölf derartige Servicestellen gingen derzeit in Betrieb, weitere seien im Aufbau, berichtete Haack. Er erwarte, dass es gelinge, bis Ende des Jahres das neue Dienstleistungssystem auf die Beine zu stellen.

       In den Auskunfts- und Servicestellen sollen Vertreter aller Rehabilitationsträger zusammenarbeiten: das sind Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung, Kriegsopferversorgung, Bundesanstalt für Arbeit, Sozialhilfe und Jugendhilfe. «Der Antrag wird eingereicht, geprüft, und gleich die Zuständigkeit geklärt», schilderte Haack das Verfahren. Bisher braucht es nach seinen Angaben im Durchschnitt 48 Wochen, bis über einen Antrag entschieden ist. Jetzt ist eine Frist von neun Wochen vorgeschrieben. Hat der Antragsteller bis dahin keine plausible Antwort bekommen, kann er sich das, was er braucht, selbst besorgen und dann die Rechnung einreichen.

       Mehrkosten soll das neue System laut Haack nicht verursachen, da durch die Bereinigung der bürokratischen Schnittstellen und die beschleunigte Antragsbearbeitung auch Geld gespart wird. Ein Anliegen des Behindertenbeauftragten ist mit dem Gesetz noch nicht erledigt: Er wies darauf hin, dass behindert geborene Menschen sich zeitlebens im System der Sozialhilfe bewegten und sich dadurch stigmatisiert fühlten, dass sie ständig ihre Vermögensverhältnisse beziehungsweise die ihrer Eltern darlegen müssten. Das Ziel, statt der Sozialhilfe mit Bedürftigkeitsprüfung für die Betroffenen ein steuerfinanziertes Leistungsgesetz zu schaffen, sei nicht erreicht worden, räumte er ein. Haack kündigte an, diesen Punkt vielleicht schon in der nächsten Legislaturperiode ab 2002 wieder aufzugreifen.

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